Zu den Anschlägen in Brüssel am 22. März 2016, vorher, später und anderswo:
Trotz tiefer Trauer über die vielen toten und verwundeten unschuldigen Menschen in Brüssel und Paris, aber auch andernorts in Europa, im Nahen Osten, im Maghreb, in Sahel-Afrika, West- und Ostafrika, die Opfer von Anschlägen und kriegerischen Unternehmungen geworden sind, wird die Stiftung Wissensraum Europa-Mittelmeer (WEM) mit ihrer Arbeit fortfahren und dabei an ihrem Ziel festhalten. Dieses wurde auf der Gründungsversammlung der Stiftung in Rabat (Marokko) am 26.Oktober 2010 von Teilnehmern aus Europa, dem Maghreb und Westafrika so formuliert und in die Präambel der Satzung aufgenommen: „Ziel ist die Schaffung eines euro-mediterranen Wissensraums, das heißt eines neuen funktionalen Raums verdichteter Beziehungen und Kommunikation mit gemeinsamen Wissensbeständen, Wissensstrukturen und Konzepten für politisch-kulturelles Denken und Handeln.“ Zu verstehen ist dies als Baustein für eine geteilte, kooperative Entwicklung des euro-afro-mediterranen Raums unter den Aspekten von Zivilisation und Gerechtigkeit.
Prof. Dr. Bernd Thum
Präsident der Stiftung WEM e.V.
2016 (Januar)
Die Reisen Ramon Llulls – public domain, Author: Antoni I. Alomar (19. Dezember 2008)
Bernd Thum:
Vorschlag: Ein Raimundus Lullus (Ramon Llull)-Jahr 2016
Wahrscheinlich 1316 starb in Tunis oder seiner Heimat Mallorca der katalanische Dichter, Philosoph und Theologe Raymundus Lullus. Um 1232 geboren, bilden die Stationen seines Lebens ein dichtes geographisches und topographisches Netz im euro-mediterranen Raum: Mallorca, Barcelona, Montpellier, Paris, Lyon, Rom, Zypern, Jerusalem, Tunis, Bougie…Ursprünglich ein hoher Beamter am argonesischen und am majorquinischen Hof, wandte er sich ab dem 30. Lebensjahr der christlichen Mission zu, dies aber in besonderer Weise. Die Besonderheit betrifft sein aktives, auch organisatorisches Eintreten für Nutzung und Verbreitung der arabischen Sprache (er schrieb selbst einige seiner Werke in Arabisch), seine Praxis, mit arabisch-islamischen Gelehrten in direkten Kontakt zu treten (er nannte sich selbst „christianus arabicus“), vor Muslimen und Juden zu predigen (wurde dabei aber fast gesteinigt) und schließlich seine Überzeugung von dem Zusammengehören, ja der Einheit von Welt und Gott, von Pflanzen, Tieren und Menschen, von Recht und Staat sowie auch der Religionen in ihrer Vielfalt. Alles enthält die gleichen, vom Menschen durchaus auch zu erkennenden Strukturen und folgt den gleichen Prozessen. Zusammengehalten und beflügelt wird diese Einheit durch die (göttliche) Liebe. Diese Liebe lässt auch Unterschiede zu, ja fördert sie geradezu.
Lullus, der ‚doctor illuminatus‘ der Kirche, folgte Anregungen aus der christlichen Theologie und Mystik, aus der jüdischen Kabbala, aus der islamischen Philosophie (al-Farabi) und der Sufi-Mystik (al-Hazm, Ibn ‚Arabi, Ibn Sa’bin). Doch gab es für ihn auch in seiner ‚Philosophie der Liebe‘ (filosofia d’amor) Relationen und damit, für ihn, auch ein Primat des Christentums. Dies kommt auch in seinem berühmten dialogisch-vergleichenden ‚Buch vom Heiden und den drei Weisen‘ (‚Libro del gentil e dels tres savis‘) zum Ausdruck. Trotzdem wurden die Werke des ‚doctor illuminatus‘ später von der Inquisition verboten. Die Renaissance (Pico della Mirandola), Nikolaus von Kues und Giordano Bruno hielten sie aber hoch.
Die Erkenntnislehre Lullus‘ (‚Ars generalis ultima‘) nutzt eine Kombinatorik verschiedener Grundbegriffe, die in wechselnden Konstellationen gegeneinander verschoben werden können. Leibniz hat sie bei seinen Überlegungen zu reiner mathematischen Logik genutzt. Vielleicht gehört Lullus von ganz fern zu den Vorläufern der Computer-Technik.